Am vergangenen Wochenende (14. und 15. September) fand das vierte Agile Barcamp in Leipzig statt. Ich war zum zweiten und sicherlich nicht zum letzten Mal dabei und möchte die Veranstaltung für euch und auch für mich Revue passieren lassen.
Was erwartet mich auf dem Agile Barcamp?
Wie der Name des Events mehr als deutlich verrät, sind hier Workshops, Diskussionen, Vorträge, Fragen, Fallbeispiele, Games usw. rund um das Thema Agile willkommen. Inhaltlich tragen die Barcamp-Besucher (oder auch Teilgeber genannt) den Großteil bei, indem sie selbst Sessions anbieten. Die Barcamp-Veranstalter kümmern sich um alles andere und organisieren außerdem Keynote-Speaker, die das Barcamp täglich eröffnen.
Keynote 1: New Pay
Keynote-Speaker des ersten Tages war Nadine Nobile mit „New Pay – Alternative Arbeits- und Vergütungsmodelle“. Ein Thema, das – nicht nur – viele Agilisten beschäftigt, aber noch nicht in der breiten Masse der Unternehmen angekommen ist. Wie sieht ein faires Gehaltsmodell aus und was ist überhaupt fair? Woran bemisst sich das Gehalt: Leistung, Arbeitszeit, Ergebnisse, Ausbildung und Zertifikate, Berufserfahrung oder danach, wie viel jemand benötigt? Und wer bestimmt das Gehalt? Nicht nur war der Vortrag sehr interessant und unterhaltsam, er löste parallel und im Anschluss auch rege Diskussionen aus.
Wie können moderne Bezahlmodelle aussehen: Einheitsgehalt, Team-Entscheidung, Wunschgehalt, Mix aus verschiedenen Faktoren…? Die Keynote „New Pay“ von @Amalfitana75 regt zum Diskutieren an. #agileipzig — Saskia Brintrup (@saskia_br) September 14, 2019
Keynote 2 – Agile und Prozesse
Der zweite Barcamp-Tag begann für diejenigen, die das Programm am Vortag vollends ausgeschöpft hatten und bis zum Rausschmeißer-Song (Griechischer Wein) in der alten Spinnerei geblieben waren, erst einmal mit Müdigkeit. Prof. Dr. Gunter Dueck rüttelte das Publikum mit „Wird das Agile doch wieder in Prozessen ertränkt?“ allerdings schnell wieder wach. Mit Vergleichen zwischen Management und Burger braten und Erläuterungen zu den verschiedenen Gehirnfrequenzen gab es viel zu lachen und nachzudenken. Conrad Giller hat es gut zusammengefasst:
Ich fall vom Glauben ab. Prof. Dueck als Keynote. Kirkegaards Wild Duck und Hunde- und Katzen-Metaphern zu Management und Agilität. Danach läßt sich vieles ertragen. #agileipzig
— Mr. Columbo (@ConradGiller) September 15, 2019
Die Kurzform des agilen Manifests nach Dueck lautet übrigens: Katzen sind besser als Hunde. Denkt mal darüber nach 😉
Meine Takeaways:
- Wird eine Idee nicht innerhalb von 72 Stunden angefangen, will sie offenbar keiner.
- Meetings am Morgen bevorzugen (passt besser zu den Gehirnwellenfrequenzen und ermöglicht danach ungestörtes Arbeiten am Stück).
Sessions, die ich besucht habe
Push- und Pull-Prinzip
Am ersten Tag ging es nach der Keynote zusammen mit meiner lieben Kollegin mit einer eigenen Session weiter: Wer Lust hatte, konnte bei unserer Werft anheuern und Schiffchen nach dem Push- und Pull-Prinzip falten. Das Ergebnis: Mit dem Pull-Prinzip wurde in der gleichen Zeit fast die gleiche Anzahl an Schiffen produziert, „unsere Mitarbeiter“ hatten aber viel mehr Zeit, um sich der Qualität zu widmen oder sich über Verbesserungen auszutauschen – bei gleichzeitig deutlich geringeren Lagerbeständen und damit geringerer Kapitalbindung.
Die Werft Million $ Baby hat eine erfolgreiche Pull-Runde hinter sich. Danke, an das tolle Schiffchenbauerteam … #agileipzig #pull #papierschiffe
— EnilA telliS (@EnilaTellis) September 14, 2019
Agil und Kultur, Lego Serious Play
Die anschließende Mittagspause und auch das Essen habe ich am ersten Tag komplett gegen eine Session samt Erfahrungsaustausch zum Thema Agil in verschiedenen Kulturen und eine Runde Lego Serious Play eingetauscht. Davon hatte ich schon viel gehört und konnte es auf dem Barcamp endlich einmal selbst ausprobieren. Erstaunlich, wie gut die kleinen Bausteine dabei helfen, Ideen zur Problemlösung zu entwickeln und darüber zu diskutieren.
Personal Maps
Weiter ging es mit Personal Maps, die gerade neuen Teams dabei helfen, sich untereinander besser kennenzulernen – auch auf persönlicher und nicht nur auf fachlicher Ebene. Hier seht ihr, was in die Personal Map gehört:
#personalmaps inkl. Weitere Ideen #teambuilding @agileipzig #agileipzig
— EnilA telliS (@EnilaTellis) September 14, 2019
Diese füllt dann jeder im Team für sich aus und stellt jeweils die Map einer oder eines anderen vor. Selbstdarstellerei hat damit keine Chance.
Von Widerstand und Freiwilligkeit
Die letzte Session des Tages für mich lautete „Sexy Ignoranz: Du kannst nur mit den Willigen arbeiten … und der Rest?“ Im Fishbowl-Format wurde darüber diskutiert, wie man damit umgeht, das z. B. nicht jeder Lust auf Veränderungen und Agile hat. Kann oder soll man das ignorieren? Wie kann man Einladungen so gestalten, das sie auch angenommen und nicht immer wieder abgelehnt werden? Und welches Feedback schwingt bei einem Widerstand eigentlich mit?
Was ich für mich mitgenommen habe:
- Veränderungen einladungsbasiert angehen: die Basis ist Freiwilligkeit.
- Selbstorganisation einbauen, z. B. bei der Team-Findung: Wer im Team sein möchte, macht mit, wer nicht mehr im Team sein möchte, darf gehen.
- Werden Einladungen nicht angenommen, mit den Leuten sprechen und nach ihren Bedürfnissen und Gründen fragen.
- Dran bleiben und einen langen Atem bewahren.
6-3-5-Methode
Am Sonntag habe ich nach der Keynote die 6-3-5-Methode, eine Brainwriting-Technik zum Sammeln und Weiterentwickeln von Ideen, kennengelernt. Die Zahlen bedeuten: sechs Personen, drei Ideen und fünf Minuten. Und so geht es:
- Jeder nimmt sich ein Blatt Papier und zeichnet drei Spalten. Anschließend schreibt jeder für sich drei Ideen zu einer bestimmten Fragestellung auf und hat hierzu fünf Minuten Zeit.
- Danach wandert jedes Blatt einen Platz weiter, so dass die Ideen der anderen angereichert werden oder auch neue Einfälle festgehalten werden können.
- Das Ganze wird ein paar Mal wiederholt.
Was mich an der Methode begeistert hat, war, dass durch die ständig neuen Impulse die Ideen immer weiter sprudeln. Außerdem fällt es leichter, auf den ersten Blick abwegige Vorschläge einzubringen, die mündlich nicht geäußert worden wären. Insgesamt kommt man in vergleichsweise kurzer Zeit zu einer Masse an Einfällen.
Agile Transformation bei Rewe Digital
Danach folgte eine sehr lohnenswerte Session von Rewe Digital, in der Friederike, Andreas und Florian ein Feuerwerk an Ideen und Angeboten im Rahmen der agilen Transformation im Konzern zündeten. Unter anderem ging es um WOL (Working Out Loud), informelle Treffen zum Mittagessen, kollegiale Fallberatung (ähnlich der Liberting Structure Troika Consulting) und Communities of Practice.
Hier noch das Fotokoll zu unserer Session „Stein des Sisyphos & Seedbombs“ mit den besprochenen Formaten! 💁🏼♀️ @fl3a @schlumsch @rewedigital #agileipzig
— Friederike Schmidt (@frediontherun) September 15, 2019
Die letzte Session zur Agilisierung von Führungsteams konnte aufgrund der nahenden Abreise nur bruchstückhaft besucht werden. Der Input war jedoch bis dahin auch so reichlich, dass wir voll mit neuen Eindrücken und Ideen das Gelände verlassen konnten.
Fazit: Hingehen und mitmachen!
Das Agile Barcamp in Leipzig hat mir schon im vergangenen Jahr sehr gut gefallen; es war mein erster Barcamp-Besuch überhaupt. Auch in diesem Jahr war es wieder eine tolle Erfahrung, die es zu wiederholen gilt. Ich muss sagen, dass ich auf wenigen Konferenzen so viel an Informationen und fachlichem Austausch mitgenommen habe wie auf Barcamps – vor allem in Leipzig. Gerade für Agile Coaches, Scrum Master und andere „Facilitator“ aus diesem Dunstkreis, die im eigenen Unternehmen keine große Agile-Community vorfinden, sind solche Veranstaltungen eine wichtige Gelegenheit, um Erfahrungen und Tipps auszutauschen. Das heißt natürlich nicht, dass nicht auch Mitarbeiter großer Unternehmen vom Blick über den Tellerrand profitieren – wie man auch an den entsprechenden Besuchern sieht, die aus allen Unternehmensgrößen nach Leipzig strömen.
Der Vorteil einer so gelungenen Veranstaltung ist auch gleichzeitig zwangsläufig ein kleiner Nachteil: Es finden immer mehrere Sessions parallel statt, die einen interessieren. Gut, wenn man nicht alleine hingeht, dann kann man sich aufteilen und nachher aufschlauen. Durch die angenehme Atmosphäre und lockere Stimmung kommt man jedoch auch allein schnell und leicht mit anderen ins Gespräch. Per du ist man ohnehin.
Hier noch ein Ausschnitt des Barcamps in Bildern – von Tiziana Beck: